Listenhunde

Die Tiefe Angst vor dem Höhlentier

Traditionell verteidigen Hunde ihre Herren oder sollten es tun. Zur Zeit kehrt sich das Verhältnis um. Wütend, geradezu bissig reagiert so manches Herrchen und Frauchen auf all jene, die nach dem tödlichen Zwischenfall in Hamburg den Moment gekommen sehen, die kinderfressende Spezies Hund samt und sonders auszurotten. "Ich kann es nicht mehr ertragen. Alles wird in einen Topf geworfen", klagt Bruno Eierund, Vorsteher der 115 niedersächsischen Schäferhundvereine und Vater des tierliebenden RTL-Serienstars Bruno Eyron ("Kommissar Rex", "Kommissar Balko").

Täglich bekommt der resolute Herr und Anhänger einer strengen Hundezucht und -ordnung Anrufe ratloser Hundebesitzer, für die Gassi gehen zum Spießrutenlauf wird. Ein völlig verzweifelter Pastor traut sich mit seinen drei Hunden nur noch nachts raus auf die Straße. Große Angst haben die Tierhalter vor eingefleischten Hundehassern, die vergiftete Köder auslegen." Hunde dürfen keine Leckeries von fremden Menschen annehmen. Das über sie jetzt verstärkt auf Abrichtplätzen", sagt Eierund.

Erbittert sind Hundefreunde wie er aber auch über die "schwarzen Schafe der eigenen Zunft - der Kampfhundelobby, die jetzt beleidigt mit "Pro Hund"-Bannern aufmarschiert und sich "Gegen rassendiskriminierende Aburteilungen" wendet. In den Augen des Schäferhundvereinschefs Eierund, der selbst mehrere große Hunde hält, gibt es keine von Natur aus bösen Hunde, nur "Idioten, die dahinter stehen".

Eine junge Tierärztin, die ihren schwarzen Hovaward Cito auf der Alten Bult, einer der beliebtesten Hundeauslaufwiesen in Hannover, spazieren führt, würde ihre Hand für den Charakter der beliebten Kampfhunderassen Pitbull, American Staffordshire oder Staffordshire-Bullterrier nicht ins Feuer legen. "Einem auffällig gewordenen Kampfhund, der eingeschläfert werden muß, weine ich keine Träne nach." Daß ihr schwarzzottiger Cito jemandem etwas zu Leide tun könne, hält die Frau für ausgeschlossen. Obwohl er früher "angeblich" böse gewesen sein soll. "Wahrscheinlich hat in der vorige Besitzer wohl mißhandelt". Leider passe ihr Hund auf Grund seiner Größe und schwarzen Farbe ins Angstschema.

Wenn sich die Menschen vor ihrem Hund fürchten, muß dieser sich hinsetzen oder sogar hinlegen. Für Ängste von Müttern, die ihre Kinder aber schon in die Höhe zerren, wenn sich ein Hund nähert, hat die Tierliebhaberin kein Verständnis.

Wie weit reicht das Verständnis der Hundehalter für die Ängste der anderen? Wer einmal von einem Hund angefallen und verletzt worden ist, leidet mit großer Wahrscheinlichkeit ein Leben lang an einer offenen seelischen Wunde, erläutert Prof. Hinderk Emrich, Leiter der Klinischen Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover. In seltenen Fällen komme es zu einer erheblichen "posttraumatischen Stresserkrankung", die ihre Bewegungsfreiheit stark einengen. Diese Menschen halten ständig Ausschau, ob irgendwo ein Hund auftaucht. Sie bekommen schlotternde Knie, panisches Herzrasen und Erstickungsangst.

"Die Angst vor Hunden wurzelt wie die Spinnen- und Schlangenangst tief im Seelenleben des Menschen", sagt Emrich. Zum Teil mag diese tiefe Verwurzelung der Angst die Hysterie erklären, die zu Zeit bei vielen mitschwingt, wenn es um das Thema Hunde geht. Der Hund ist kulturgeschichtlich ein Beschützer und Bewacher, aber als eine besondere Züchtung aus Wolf, Fuchs und anderen Raubtieren auch ein Angreifer. Hunde, die geeignet sind, Diebe in die Flucht zu schlagen, müssen "eine scheußliche Stimm und Ansehen wie auch ein scheußlichen Kopf und ganz schwartze Farbe haben", heißt es in einem "Thierbuch" 1669.

Als symbolisches Wesen begegnet uns der Hund als Teufel oder Höhlenhund und als destruktive Urkraft. "So überlagern sich beim Menschen Realängste und mythische Ängste", erklärt Emrich. Das mache das ewig Problematische, aber auch das Faszinierende des Umgangs mit Hunden aus. Wichtig findet der Psychiater, daß sich Hundehalter bewußt werden, daß Hunde mehr als nur Partner des Menschen sind. "Hunde sind im Grunde ein Teil des menschlichen Selbst oder, wie es in der Psychoanalyse heißt, ein "Übergangsobjekt". Augenfälliges Indiz sei die häufige Ähnlichkeit der Physiognomien von Hundehaltern und Hunden.

Wer einen großen Hund hat, möchte ein "hohes Größenselbst" haben. Es sage ihm unendlich viel, ob jemand mit einem Zwergpinscher in seine Praxis komme, mit einer deutschen Dogge oder mit einem Rottweiler. In der Traumsymbolik steht der Hund für das "Ich", für den "Animus" oder männlichen Seelenanteil und für den "Willen", den der Mensch domestizieren möchte.

Zitat der "Hannoversche Allgemeine Zeitung" vom 15. Juli 2000 von Johanna Di Blasi

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